Gesetzliche Änderungen und deren Auswirkungen
Die geplante Gesetzesänderung im Jahressteuergesetz 2024 (JStG 2024), mit der die Anwendung der verkürzten Abschreibung auf Basis der Restnutzungsdauer faktisch abgeschafft worden wäre, ist nicht umgesetzt worden. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die Abschreibungen von Immobilien gehabt, da eine kürzere Nutzungsdauer zu einer schnelleren steuerlichen Entlastung und höheren jährlichen Steuerersparnissen führen kann. Der Bundesrat hat am 22. November das Gesetz ebenfalls verabschiedet.
Damit sind zwei Dinge nicht ins Gesetz aufgenommen worden:
- Eine verkürzte Restnutzungsdauer sollte nur noch dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie weniger als 20 % der gesetzlichen Sätze betragen hätte.
- Die Anforderungen an die Gutachten hätten gesetzlich festgelegt werden sollen.
Welche Regeln gelten jetzt für Gutachten zur Restnutzungsdauer?
Das Gesetz selbst enthält keine Vorgaben. Das bedeutet, dass es ausgelegt werden muss.
Die Finanzverwaltung hat dazu schon im Februar 2023 ein Schreiben erlassen, in dem die Anforderungen aus ihrer Sicht dargestellt werden.
- Das Gutachten muss von einem Sachverständigen erstellt worden sein, der Nach DIN EN ISO/IEC 17024 zugelassen ist.
- Im Gutachten muss auf den Zustand der Tragstruktur des Bauwerks eingegangen werden.
- Es muss dargelegt werden, warum am Ende der kürzeren Nutzungsdauer keine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung mehr möglich ist.
- Der alleinige Verweis auf die Ermittlung der Restnutzungsdauer nach der ImmoWertVO ist nicht ausreichend.
- Implizit: Eine Vor-Ort-Besichtigung ist notwendig.
BMF-Schreiben sind aber nur für die Finanzämter binden, weil sie die Sicht der Finanzministerien darlegen. Weder Sie als Steuerpflichtiger noch die Finanzgerichte sind an die Schreiben gebunden.
Was heißt das für Immobilieninvestoren?
Welche Art von Gutachten sollten Sie jetzt beauftragen? Gibt es keine spezifischen Vorgaben für die Gutachten? Bedeutet das, dass man tun kann, was man will?
Ich höre immer wieder das Argument, dass die Gerichte diese Vorgaben wieder kippen werden. Schließlich gebe es ein Urteil des BFH, das die freie Wahl der Methode erlaubt.
Das ist richtig, lässt jedoch außer Acht, dass sich der BFH inzwischen erneut zu diesem Thema geäußert hat. Im Urteil vom 23. Januar 2024 (IX R 14/23) hat der BFH im Tenor eindeutig klargestellt, dass eine bloße Berechnung nach ImmoWertV als Nachweis nicht ausreicht. Dazu gibt es auch eine Anmerkung des Berichterstatters Dr. Nils Trossen. Diese ist allerdings hinter einer Paywall, da sie nicht Teil des Urteils ist.
Ich zitiere die wichtigste Passage aus der Anmerkung (Hervorhebungen von mir):
„Der schlichte Verweis auf die modellhaft ermittelte Restnutzungsdauer nach der ImmoWertV 2021 stellt aber sowohl nach der seinerzeitigen Rechtsprechung als auch nach der klaren Aussage des Berechnungsurteils (unter Nr. 27) gerade keine taugliche Darlegungsmethode dar, um die abweichende Nutzungsdauer nachweisen zu können. In der Praxis bedeutet dies, dass für die Geltendmachung der abweichenden Nutzungsdauer nach wie vor ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erforderlich ist, das sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des zu bewertenden Objekts äußert.“
Dem BFH ging es darum, den Gutachtern “Beinfreiheit” in der Wahl ihrer Methoden zu lassen, nicht die Anforderungen an die Gutachten zu senken.
Dem wird dann immer wieder entgegengehalten, dass das Finanzamt doch sowohl bei der Grundsteuer als auch bei der Kaufpreisaufteilung doch selbst von der ImmoWertVo und der Punkt-Wert-Matrix Gebrauch macht. Dann muss das ja auch für den Steuerpflichtigen gelten.
Das lässt aber außer Acht, dass die Bewertung und die Frage der verbleibenden Restnutzungsdauer zwei völlig verschiedene Dinge sind.
Bei der Bewertung geht es um eine modellhafte Annahme, für die eine konsistente Grundlage benötigt wird. Wäre das nicht so, könnte jeder Gutachter die Bewertung nach Gutdünken anpassen. Mit anderen Worten: Es geht um ein Massenverfahren, das eine Grundlage braucht. Das bietet die ImmoWertVO.
Die Frage der Restnutzungsdauer ist eine völlig andere. Es geht darum, dass der Nachweis für eine konkrete Immobilie geführt wird, dass die gesetzlich fingierte Nutzungsdauer nicht angemessen ist. Mit anderen Worten: Es geht um ein Einzelverfahren bezogen auf eine spezifische Immobilie.
Ein Blick auf die heutige Gutachtenpraxis
Ich habe in den letzten zwei Jahren viele Gutachten gesehen. Die allermeisten Gutachten machen Folgendes:
Sie ermitteln die Restnutzungsdauer anhand des Modells der ImmoWertV, hängen Fotos an und schreiben in die Zusammenfassung etwas in der Art: “Nach meiner sachverständigen Meinung entspricht die durch das Modell der ImmoWertV ermittelte Nutzungsdauer den tatsächlichen Gegebenheiten.”
Auf die vom BFH geforderten individuellen Gegebenheiten wird in den meisten Gutachten überhaupt nicht eingegangen. In der letzten Ablehnung der Anerkennung hat das Finanzamt geschrieben, dass “auf 32 Seiten nur auf 6 Seiten überhaupt die konkrete Immobilie genannt wird. Der Rest des Gutachtens sind allgemeine Ausführungen zu Bewertungsmethoden ohne jeden Bezug zum konkreten Objekt. Es fehlen über die schematische Ermittlung der Nutzungsdauer nach der ImmoWertV hinaus jegliche Aussagen dazu, warum das Objekt wirtschaftlich bereits nach 25 Jahren verbraucht sein soll.”
Prüfen Sie Ihre Gutachten: In den meisten Fällen werden Sie feststellen, dass es bei Ihnen genauso ist.
Faktisch wird nur das Modell der ImmoWertV genutzt, und dann wird behauptet, dass dieses Ergebnis mit dem sachverständigen Urteil übereinstimme.
Wenn man sich die Anforderungen des BFH ansieht, wird kein Finanzgericht dieser Republik solche Gutachten anerkennen. Da es sich hier auch um eine Tatsachenfrage handelt (“Ist das Gutachten ausreichend?”) und nicht um eine Rechtsfrage, wird wahrscheinlich nicht einmal die Revision zugelassen. Und selbst wenn dies geschieht, wird der BFH kaum sagen, dass die sog. “Internetgutachten” ausreichend sind. Es fehlt die vom BFH geforderte Würdigung der individuellen Gegebenheiten der Immobilie.
Warum sehen die Gutachter das anders als ich?
Die Gutachter verdienen ihr Geld mit der Erstellung dieser Gutachten. Das sei ihnen gegönnt, schließlich sind sie hochqualifizierte Experten.
Kann ein so qualifizierter Experte aber ein individuelles Gutachten inklusive einer Vor-Ort-Besichtigung für 599 EUR brutto anbieten? Eine Vor-Ort-Besichtigung ist entscheidend, da viele Finanzämter nur Gutachten akzeptieren, die auf einer solchen Besichtigung basieren.
Da ich selbst den Bewerterlehrgang D1 der Dekra gemacht habe und etwas Erfahrung in der Bewertung von Immobilien habe, halte ich das für unmöglich.
Fahrt zum Objekt, Durchgang durch das Objekt, Inspizierung der Bausubstanz, Erstellen des Gutachtens etc. dauert. Lassen wir es einmal 10 Stunden sein. Der Gutachter arbeitet also für einen Stundenlohn von 59 EUR. Brutto! Die Gutachter, die ich im Netzwerk habe, stehen dafür nicht einmal auf.
Das geht nur, wenn die Gutachtenerstellung mehr oder weniger automatisiert ist und keine großen Anpassungen wegen individueller Gegebenheiten notwendig sind. Die Erstellung muss also skalierbar sein.
Mit den richtigen Programmen (z. B. Sprengnetter) ist das kein Problem. Die wesentlichen Parameter werden eingegeben oder kommen aus dem Programm selbst, das Programm rechnet auf Basis der Punktwertmatrix die Nutzungsdauer aus, und nach etwa drei Stunden steht das Gutachten. Es fehlt jedoch die Würdigung der individuellen Verhältnisse, weil diese eben nicht skalierbar ist.
Dann passt auch wieder der Stundenlohn für den Gutachter. Der liegt dann nämlich bei 200 EUR brutto. Dafür findet man Leute, die dafür nicht nur aufstehen, sondern sogar arbeiten!
Wendet die Finanzverwaltung ihre Regeln konsequent an, wird der heutigen Praxis vieler Gutachter die Grundlage entzogen. Die Gutachten werden deutlich aufwendiger und damit teurer werden.
Das ist kein Problem, weil sie eine beschleunigte steuerliche Absetzbarkeit der Anschaffungskosten ermöglichen. Das sollte ein paar tausend Euro wert sein, die man ja auch steuerlich geltend machen kann.
Die Finanzämter, zumindest in NRW, weisen jetzt schon alle Gutachten zurück, die aus ihrer Sicht die individuellen Gegebenheiten nicht angemessen berücksichtigen.
Der Weg zum Finanzgericht
Dazu sind sie gezwungen, da sie an die Vorgaben des BMF-Schreibens gebunden sind. Einen Einspruch dagegen könnte man sich sparen, weil auch die Rechtsbehelfsstelle keine andere Meinung vertreten kann. Da es aber einen ablehnenden Einspruchsbescheid geben muss, um klagen zu können, sollte man gegen solche Bescheide Einspruch einlegen und darin sofort die Zustimmung zur Sprungklage erklären. Dann kann der Fall direkt zum Finanzgericht gehen.
Das Finanzgericht ist nicht an die BMF-Schreiben gebunden und kann frei entscheiden. Allerdings ist das Finanzgericht an die Rechtsprechung des BFH gebunden und kann davon nicht ohne Weiteres abweichen. Und der BFH hat eine eindeutige Meinung zum Thema ImmoWertV.
Die Kosten und Risiken eines Rechtsstreits
Ich sehe nicht, wie die ganzen Formulargutachten aus dem Internet vor Gericht Bestand haben können, wenn da schlicht die Punktwertmatrix angewandt wird und sonst nichts weiter zum Objekt und seinem Zustand ausgesagt wird.
Was, wenn die Gerichte das doch anders sehen?
Ich höre auch immer wieder, dass die Gutachter “felsenfest” davon überzeugt sind, dass die Gerichte die Anforderungen kippen werden.
Ich glaube das zwar nicht, aber unterstellen wir das einmal. Schließlich ist dieser Glaube meine persönliche Meinung und wir wissen ja alle, dass man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand ist.
Das zuständige Finanzgericht gibt der Klage also recht und verurteilt die Finanzverwaltung dazu, das Gutachten in der bestehenden Form anzuerkennen. Das dauert bei der jetzigen Belastung der Finanzgerichte mindestens zwei, eher drei Jahre.
In dieser Zeit hängen Sie in der Schwebe und wissen nicht mit Sicherheit, ob die Gutachten anerkannt werden. Außerdem will der Steuerberater oder Rechtsanwalt, der die Klage führt, auch bezahlt werden. Eine Klage vor dem Finanzgericht rechne ich nach Stunden ab und nicht nach RVG. Da sind dann schnell 3.000 bis 4.000 EUR an Kosten entstanden.
Ich gehe hier von einem Streitwert von 12.000 EUR, was bei der Halbierung der AfA-Dauer realistisch ist.
Gewinnen Sie, bekommen Sie davon aber nur den Teil zurück, den die RVG erstattet, also um die 2.000 EUR.
Verlieren Sie, bleiben Sie auf den Kosten sitzen und müssen sogar noch die Gerichtskosten tragen.
Wenn das Finanzamt den Fall vor einem Finanzgericht verliert, werden sie vor den BFH ziehen. Auch wenn das Finanzamt die Revision nicht zulässt, sehe ich gute Argumente, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg haben wird. Dann geht das ganze Spiel beim BFH wieder von vorne los. Verfahrensdauer beim BFH: Noch einmal zwei bis drei Jahre, wenn es gut läuft. Es entstehen wieder Kosten, die auf dem Niveau des Kosten für die 1. Instanz liegen und Sie haben erneut ein paar Jahre Unsicherheit.
Wenn Sie vor dem BFH verlieren, kommt die Steuerzahlung und dann auch mit entsprechenden Zinsen. Klar, Sie können die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides beantragen und sollten diese auch bekommen. Bei 1,8 % pro Jahr könnte man das verschmerzen.
Nur: Die Zinsen betragen dann nicht 1,8 % pro Jahr, sondern 6 %. Die Änderung, die das BVerfG gefordert hat, gilt nur für Steuernachzahlungen nach § 233a AO. Alle anderen Zinsen für Stundung und Aussetzung der Vollziehung betragen weiterhin 6 %. Bei einem ausgesetzten Betrag von 20.000 EUR sind das bei vier Jahren Verfahrensdauer 4.800 EUR!
Im Worst Case müssen Sie also 12.800 EUR bezahlen, wenn Sie am Ende vor dem BFH verlieren.
Die klügere Alternative
Wie teuer ist es, jetzt ein neues Gutachten erstellen zu lassen, das die Anforderungen erfüllt? Wenn das weniger als diese 12.800 EUR ist, ist es erheblich klüger, das Geld zu bezahlen, als in einen Rechtsstreit mit unsicheren Erfolgsaussichten zu gehen.
Letzte Worte
Der gesamte Artikel gibt nur meine Meinung zum Thema Restnutzungsdauer wieder. Ich berate meine Mandanten auf dieser Grundlage und die meisten stimmen mir zu, dass meine Meinung durchaus etwas für sich hat.
Das Thema Restnutzungsdauer wird damit jedoch nicht vom Tisch sein. Aufgrund der Einnahmenausfälle werden die Länder das Thema immer wieder diskutieren. Wir gewinnen vermutlich nur eine Gnadenfrist.
Und selbst wenn die Regelungen zur Restnutzungsdauer bestehen bleiben und der BFH die Finanzämter zwingt, auch die “Internetgutachten” anzuerkennen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand im Finanzministerium auf die naheliegende Idee kommt, die Einnahmenausfälle aus der verkürzten Restnutzungsdauer anders zu kompensieren: durch die Streichung der Steuerfreiheit des privaten Immobilienverkaufs.
Für Familienwohnsitze wird die Steuerbefreiung heute auch schon anders erreicht, das ist also kein Problem.
Verfassungswidrig ist das auch nicht. Die Älteren werden sich noch erinnern, dass Verkaufsgewinne aus Aktien auch mal nach einem Jahr steuerfrei waren. Bei der Abschaffung waren sich die Banken auch alle sicher, dass das BVerfG das kippen wird. Das ist nie passiert; auch heute noch müssen alle Verkaufsgewinne versteuert werden.
Warum sollte es bei Immobilien anders laufen?
Ehe die Steuerfreiheit des Verkaufs gestrichen wird, ist die faktische Abschaffung der verkürzten Nutzungsdauer das kleinere Übel.