Einleitung: Wenn Kontrolle zur Belastung wird

Viele kleine Genossenschaften entstehen aus echtem Engagement:
Dorfläden, Energieprojekte, gemeinschaftliche Pflegeinitiativen – getragen von Menschen, die Verantwortung übernehmen, ohne auf Gewinn aus zu sein.
Doch immer häufiger stoßen diese Initiativen an ihre Grenzen.
Der Grund: die Pflichtprüfung nach § 54 Genossenschaftsgesetz (GenG).

Was als Schutz gedacht war, ist für viele Kleingenossenschaften zu einer finanziellen Falle geworden.

Ein Praxisbeispiel: Der Dorfladen Bechtoldsweiler

Im Jahr 1995 gründeten Bürger aus Bechtoldsweiler bei Hechingen eine Verbrauchergenossenschaft, um die Nahversorgung ihres Dorfs zu sichern.
Über 200 Mitglieder, viele mit mehreren Anteilen, beteiligten sich an der Initiative.
Der Dorfladen wurde zum sozialen Mittelpunkt des Orts, schuf zwei Teilzeitstellen und erhielt sogar eine Auszeichnung des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel.

Doch die Kehrseite kam mit der Zeit:
Was anfangs als tragbares System begann, wurde mit den Jahren unbezahlbar.
Anfangs betrug der Prüfbeitrag 500 DM alle zwei Jahre – heute beläuft sich der Aufwand auf mehrere tausend Euro jährlich.


„Zu Tode geprüft“ – wenn Pflichtprüfungen Engagement ersticken

Nach § 54 GenG sind alle Genossenschaften verpflichtet, einem Prüfungsverband anzugehören.
Das mag für große Energie- oder Wohnungsgenossenschaften sinnvoll sein.
Für ehrenamtlich geführte Kleingenossenschaften bedeutet es jedoch:
Das Eigenkapital fließt nicht in die Sache, sondern in Bürokratie.

Im Fall Bechtoldsweiler mussten die Betreiber über 13.000 Euro Prüfungsgebühren zahlen – für einen Dorfladen mit zwei Angestellten.
Die Prüfberichte umfassten Dutzende Seiten, waren aber kaum relevant.
Eine Folge:

„Wir werden gesetzlich zu Tode geprüft.“

Die finanziellen Lasten führten schließlich zur Schließung des Ladens und zur Auflösung der Genossenschaft.


Reformbedarf: Ein System ohne Augenmaß

Die Politik hatte bereits 2006 eine Entlastung versprochen.
Doch die Änderung des Genossenschaftsgesetzes (GenG) blieb weit hinter den Erwartungen zurück.
Prüfverbände berechnen weiterhin vierstellige Beträge – auch, wenn der Jahresabschluss gesetzlich nicht mehr geprüft werden müsste.

Im Fall Bechtoldsweiler kostete die letzte Prüfung über 5.800 €, bei rückläufigem Umsatz war das nicht tragbar.
2011 wurde die Genossenschaft liquidiert.

Ein strukturelles Problem

Die Pflichtprüfung ist für kleine Genossenschaften ökonomisch unverhältnismäßig.
Prüfverbände finanzieren sich über Gebühren und müssen wirtschaftlich arbeiten – das treibt die Kosten nach oben.
Während der Steuerberater ohnehin den Jahresabschluss erstellt, folgt eine zweite, oft inhaltsgleiche Kontrolle durch den Verband – allerdings zum Vielfachen des Preises.


Was sich ändern muss

Ehrenamtlich geführte Projekte dürfen nicht denselben Prüfpflichten unterliegen wie große Unternehmen.
Notwendig ist eine gesetzliche Differenzierung zwischen gewerblichen und gemeinwohlorientierten Genossenschaften.

Vorschläge aus der Praxis:

  • Einführung einer „Kleingenossenschaft ohne Pflichtprüfung“ unterhalb bestimmter Schwellenwerte (z. B. Umsatz < 250.000 €)

  • Prüfung durch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer anstelle eines Verbands

  • Vereinfachte Prüfintervalle (z. B. alle 4–5 Jahre)

  • Transparente Kostenobergrenzen

So könnten Projekte wie Dorfläden, Bürgerenergie-Initiativen oder soziale Genossenschaften nachhaltig bestehen – ohne an der Bürokratie zu scheitern.


Fazit: Die Pflichtprüfung in der heutigen Form ist nicht mehr zeitgemäß

Der Fall Bechtoldsweiler zeigt exemplarisch, wie gut gemeinte Kontrolle zum Hemmnis wird.
Die Pflichtprüfung schützt niemanden – sie zerstört funktionierende Strukturen.
Kleine, ehrenamtlich organisierte Genossenschaften brauchen Vertrauen und Flexibilität, keine Überregulierung.
Denn wo Menschen Verantwortung übernehmen, darf Kontrolle nicht zur Strafe werden.


Quellenhinweis:
Der Beitrag basiert auf der Sondernummer 2/2011 des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften e. V.
Titel: „Die schwere Last der Prüfungskosten“.

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